Wir begleiteten David Moser bei der Musiktherapie im Discherheim und durften vier Klient:innen dabei erleben, wie sie durch Musik in einen besonderen Dialog mit sich selbst und ihrer Umwelt traten. Es war berührend zu sehen, wie individuell die Therapie auf jede einzelne Person abgestimmt ist und welche Wirkung die Musik entfaltet. Die Sitzungen sind nicht nur für die Klient:innen eine sehr persönliche Erfahrung, sondern auch für David Moser selbst, der sich mit viel Einfühlungsvermögen und Hingabe auf jede Begegnung einlässt.
Im Unterschied zur üblichen «Sie-Anrede» in der Praxis verwendet David Moser im Discherheim das Duzis.
Klara – Die Jodlerin mit Freude am Rhythmus
Klara liebt es zu jodeln und zu trommeln. Für sie ist die Musik nicht nur eine Quelle der Freude, sondern auch eine Form des Gedächtnistrainings – „So bleibt man jung“, sagt David lachend. Die Sitzung beginnt mit ihrem geliebten Jodeln und Trommeln, bevor sie gemeinsam mit David ein Lied singt. Danach folgt ein besonderes Highlight: „Rote Lippen soll man küssen“ – dazu trommeln sie im Takt und lassen sich von der Musik mitreissen. Klara freut sich jedes Mal auf die Musiktherapie. Schon am Wochenende denkt sie voller Vorfreude an das nächste Treffen mit David.
Fredy – Rhythmus im Blut
Fredy startet mit einem Stück von Nina Simone und begleitet das Lied mit der Rassel und durch rhythmisches Klatschen. Auch Guggenmusik begeistert ihn – Fredy kommt in Bewegung und die Musik übernimmt hier die Funktion einer Gedächtnisstütze. Durch Klänge, Melodien und Rhythmen erinnert sich Fredy an Bekanntes und Liebgewonnenes in seiner Biografie. Während der Sitzung spricht David Fredys besondere Ausstrahlung an: „Weil du immer so lieb in die Welt schaust, passt das nächste Lied besonders für dich.“ Gemeinsam singen sie: „Du fragsch, was i möchte singe“. Musik gibt Fredy eine Möglichkeit, sich auszudrücken, seine innere Welt mit anderen zu teilen und sich dabei ganz zu fühlen.
Max – Kraftvolle Klänge und aktivierende Rhythmen
Bei Max darf es laut und dynamisch sein. Doch bevor es mit der Musik losgeht, gibt es eine kleine Überraschung: Max wünscht sich eine Fussmassage – auch wenn das eigentlich nicht zum musiktherapeutischen Programm gehört. Max liebt Kirchen und Kapellen, weshalb die Sitzung mit dem Klang von Kirchenglocken beginnt. Anschliessend trommeln sie mit einer grossen Rahmentrommel zu Marschmusik ab Tonträger. Die Vibration geht durch den ganzen Körper, aktiviert, setzt Energie frei. Hierbei unterstützt die Musik Max in seinem Selbsterleben, seiner Vitalität und seinen Ausdrucksmöglichkeiten. Danach folgt ein Moment des Zuhörens: Ein Orgelstück erklingt und Max lässt sich von den Klängen tragen.
Doch Musik besteht für Max nicht nur aus Liedern, Musikstücken, Melodien, etc. – sie ist auch das Leben um ihn herum. Max mag es, wenn etwas los ist. Er steht gerne an der Strasse und hört den Autos und dem Brummen eines Helikopters zu oder lauscht im Garten den Krähen – so gibt es für ihn „Krähenmusik“. Zum Abschluss schlagen sie noch einmal gemeinsam auf die Trommel, bevor die Sitzung wieder mit dem vertrauten Klang der Kirchenglocken endet.
Silvia – Sanfte Klänge auf dem Weg des Abschieds

Die letzte Musiktherapie-Session des Tages ist mit Silvia. Ihre Situation ist eine ganz besondere – sie ist auf ihrem letzten Weg, und die Musiktherapie begleitet sie in Momenten dabei. Sanfte Töne der Körpertambura umhüllen und begleiten sie in ihrem Sein und laden ein, sich ganz auf den Moment einzulassen, in den Klang einzutauchen und zur Ruhe zu kommen.
Hier geht es nicht mehr um Aktivierung oder Interaktion, sondern um Geborgenheit. Die Musik wird zum Halt, zur sanften Brücke zwischen dem Hier und dem, was kommt.
David Moser – Der Musiktherapeut

David Moser wuchs auf einem Bauernhof auf, wo die Musik bereits in seiner Kindheit eine zentrale Rolle spielte. Nach einer ersten Karriere als Feinmechaniker und seiner Arbeit als schulischer Heilpädagoge entdeckte er seine Leidenschaft für die Musiktherapie. Seit über zehn Jahren ist er in diesem Bereich tätig und hat unter anderem musiktherapeutische Angebote für Menschen mit Behinderungen sowie auf Palliativ- und onkologischen Stationen etabliert. Seine Arbeit ist geprägt von einer Begegnung auf Augenhöhe, bei der die Klient:innen in ihrer Individualität angenommen werden und ihre eigene Ausdruckskraft entdecken können.
Musiktherapie – Begegnung, Ausdruck und Entwicklung
Die Musiktherapie bietet eine einzigartige Möglichkeit, Menschen auf emotionaler, kognitiver, physischer und sozialer Ebene zu unterstützen. Durch den spielerischen Umgang mit Musik können Klient:innen Zugang zu ihren eigenen Ressourcen finden und neue Wege der Selbstregulation und Selbsterfahrung entdecken. In der Stiftung Discherheim ermöglicht David Moser den Klient:innen, sich in einem geschützten Rahmen ganzheitlich zu erleben, Freude zu empfinden und Perspektiven für ihre persönliche Entwicklung zu eröffnen.
Ob durch aktives Musizieren oder das gemeinsame Hören von Musik, die Musiktherapie fördert die Lebensfreude, das Selbstbewusstsein und das soziale Miteinander – immer mit dem Fokus darauf, was sich für die Klient:innen stimmig anfühlt.
Im folgenden Interview gibt David Moser Einblicke in seine Arbeit als Musiktherapeut in der Stiftung Discherheim, berichtet von seinen Erfahrungen mit den Klient:innen und erklärt, wie Musik zu einem Schlüssel für Entwicklung, Ausdruck und Lebensfreude werden kann.
Allgemein zur Musiktherapie
Wie würden Sie die Musiktherapie in einem Satz beschreiben?
Musiktherapie ist ein nonverbal-künstlerisches Therapieverfahren, das Menschen auf einer tiefen, emotionalen Ebene erreicht. Durch den spielerischen Umgang mit Tönen und Klängen können Gemütszustände und Emotionen ausgedrückt, erlebt und neu erprobt werden.
Welche Ziele verfolgen Sie mit der Musiktherapie in der Stiftung Discherheim?
Die Musiktherapie ermöglicht den Klient:innen, sich selbst neu zu entdecken und sich ganzheitlich zu erleben. Sie können sich durch die Musik so zeigen, wie sie sind, was zu mehr Selbstakzeptanz führt. Gleichzeitig erleben sie Freude, Glück, Spass und Kraft, die sie zunehmend für ihren Alltag nutzen können. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Unterstützung bei der emotionalen Regulation – durch die therapeutische Beziehung lernen Klient:innen, ihre Gefühle besser zu steuern und alternative Ausdrucksmöglichkeiten zu finden. Dies eröffnet ihnen neue Perspektiven für ihre persönliche Entwicklung und stärkt ihr Selbstbewusstsein.
Welche Methoden der Musiktherapie wenden Sie am häufigsten an – aktive oder rezeptive? Warum?
Ich arbeite sowohl mit aktiver als auch mit rezeptiver Musiktherapie. Leicht spielbare Instrumente ermöglichen es den Klient:innen, selbst aktiv Musik zu machen, sei es allein oder gemeinsam mit mir. Dabei steht das Erleben von Freude und das Entdecken eigener Ressourcen im Mittelpunkt. In der rezeptiven Musiktherapie spiele ich für die Klient:innen – meist live –, was ihnen hilft, zu entspannen und zur Ruhe zu kommen. Welche Methode ich wähle, hängt von den individuellen Bedürfnissen der jeweiligen Person ab.
Wie gestalten Sie die Sitzungen individuell für die Bedürfnisse der Klient:innen?
Ich orientiere mich an den individuellen Ressourcen, Möglichkeiten und Bedürfnissen der Klient:innen. Durch die verbalen und nonverbalen Möglichkeiten der Musik entdecken die Klient:innen sich selbst, erleben sich ganz und können sich in der Musiktherapie so zeigen wie sie sind. So können sie durch Klänge und spielerische Elemente ihre Emotionen ausdrücken, sich selbst erleben und gegebenenfalls neu ausprobieren. Wichtig ist dabei nicht, ob etwas „richtig“ oder „falsch“ gespielt wird, sondern ob es sich für die Klient:innen und den jeweiligen Moment stimmig anfühlt.
Wirkung der Musiktherapie
Welche Veränderungen haben Sie bei den Klient:innen durch die Musiktherapie beobachtet?
Ich erlebe immer wieder, wie sich durch die Musiktherapie die Stimmung der Klient:innen verändert. Manche werden vitaler und agiler, andere öffnen sich im Kontakt mit ihrer Umgebung. Die Musik hilft ihnen, Emotionen freier auszudrücken und auf andere Menschen zuzugehen.
Wie unterstützt Musiktherapie die Klient:innen in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung?
Musik ermöglicht es den Klient:innen, sich nonverbal auszudrücken. Gerade Gefühle wie Trauer, Angst oder Wut finden in der Musik eine Form, für die es vielleicht keine Worte gibt. Durch den Austausch mit mir als Musiktherapeuten erschliessen sie sich neue Wege, mit diesen Emotionen umzugehen und sich selbst in einem sicheren Rahmen auszuprobieren.
Gibt es eine Erfolgsgeschichte aus Ihrer Arbeit im Discherheim, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Es gibt immer wieder berührende Momente, in denen ich sehe, wie die Musik den Klient:innen neue Türen öffnet. Sei es, dass sich jemand plötzlich zutraut, laut zu singen, oder dass ein Mensch, der sonst sehr in sich gekehrt ist, über die Musik den Kontakt zur Aussenwelt sucht. Diese kleinen, aber bedeutenden Entwicklungen zeigen mir immer wieder, wie kraftvoll Musik sein kann.
Wie reagieren Klient:innen, die zum ersten Mal an der Musiktherapie teilnehmen?
Sehr unterschiedlich. Manche sind offen und neugierig, andere anfangs etwas verunsichert oder angespannt. Es gibt aber auch Klient:innen, die voller Vorfreude dabei sind. Oft hilft es, sich langsam an die Musik heranzutasten, damit die Klient:innen Vertrauen fassen können.
Persönliche Perspektive von David Moser
Was bedeutet Musik für Sie persönlich und wie beeinflusst das Ihre Arbeit als Musiktherapeut?
Musik ist für mich ein Ausdruck von Kreativität, Lebensfreude und Ausgleich. Sie gibt mir die Möglichkeit, mich selbst zu entdecken und mit anderen in Verbindung zu treten. Diese Erfahrung möchte ich auch meinen Klient:innen ermöglichen.
Was begeistert Sie besonders an Ihrer Arbeit in der Stiftung Discherheim?
Ich schätze die Wertschätzung, die mir hier entgegengebracht wird, ebenso wie die Verlässlichkeit und das Vertrauen in meine Arbeit. Die Unterstützung, die ich erfahre, ermöglicht mir, mich voll auf die Klient:innen einzulassen und meine Arbeit mit Leidenschaft auszuführen.
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen in der Musiktherapie und wie gehen Sie damit um?
Manchmal kann die akustische Belastung hoch sein, was viel Konzentration erfordert. Zudem gehen die Schicksalsschläge der Klient:innen nicht spurlos an mir vorbei. Ich begegne diesen Situationen mit Professionalität, aber auch mit Mitgefühl.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der Musiktherapie im sozialen Bereich?
Ich glaube, dass Musiktherapie in Zukunft noch stärker in den Bereichen Gesundheitsförderung und Prävention eine Rolle spielen wird. Sie kann helfen, Menschen emotional zu stabilisieren und ihnen neue Wege der Selbstwahrnehmung zu ermöglichen.
Kooperation und Umfeld
Wie arbeiten Sie mit dem sozialen Umfeld der Klient:innen, z. B. Betreuer:innen oder Angehörigen, zusammen?
Der regelmässige Austausch mit Betreuer:innen und Angehörigen ist essenziell. Reflexion und, wenn nötig, Supervision helfen dabei, die Therapie bestmöglich an die Bedürfnisse der Klient:innen anzupassen.
Welche Rolle spielt das familiäre oder soziale Netzwerk in der Therapie?
Gegenseitiges Vertrauen ist in der Therapie enorm wichtig. Je nach Situation und Kontext kann das soziale oder familiäre Umfeld einen sehr grossen Einfluss auf die Klient:innen haben. Es ist daher wertvoll, wenn Angehörige und Bezugspersonen den therapeutischen Prozess unterstützend begleiten.
Wie könnte die Musiktherapie in der Stiftung Discherheim noch weiter gestärkt oder erweitert werden?
Durch diesen Bericht wird die Musiktherapie bereits sichtbarer! Darüber hinaus wären Workshops oder Weiterbildungen für Mitarbeitende eine Möglichkeit, um das Wissen über musiktherapeutische Prozesse weiterzugeben. Vielleicht könnten einige Klient:innen sogar selbstständig in meine Praxis kommen, um ihre musikalische Reise auch ausserhalb der Therapie fortzusetzen.